Ende des Zweiten Weltkriegs im Südwesten
Dr. Heinrich Schwendemann schilderte beim 8. Nordracher Geschichtstag die letzten Kämpfe. Am vergangenen Samstag lud der Historische Verein Nordrach wieder zu einem Geschichtstag ein.
Die Idee zu dieser jährlichen Veranstaltung, war anfänglich von
Vorstandsmitglied Rolf Oswald ausgegangen, der jedoch aus
gesundheitlichen Gründen, wie schon im vergangenen Jahr, daran nicht
teilnehmen konnte. Zunächst referierte Dr. Heinrich Schwendemann über
die Besetzung Südbadens durch die Franzosen, danach schilderte Othmar
Wolf, wie er in Nordrach als Bub den Einzug der Marokkaner erlebt hatte.
Zunächst wünschte Herbert Vollmer, Vorsitzender des Historischen
Vereins, dem Vorstandsmitglied Rolf Oswald, gesundheitliche Besserung.
Mit dem Geschichtstag im September wolle immer auch an die 27 jüdischen
Personen, Patienten und Personal der ehemaligen Rothschildklinik
erinnert werden. Diese wurden am 29. September 1944 von
Nationalsozialisten verschleppt und umgebracht. Ihrer gedachten am
Samstagabend Veranstalter und Besucher mit einer Schweigeminute.
Schwendemann stellte an den Anfang seiner Ausführung die Formierung der frz. Armee bei Marseille im August 1944. Deren Truppen sollten später Südbaden und Rheinland-Pfalz besetzten. Sie setzten sich zusammen aus Soldaten des sog. Vichy-Regimes im südlichen Teil Frankreichs, dem die Deutschen lange Zeit eine gewisse Autonomie zugestanden hatte. Hinzu traten Kämpfer der frz. Untergrundbewegung »Résistance«. Ein großes Kontingent stellten die Kolonialsoldaten aus Nordafrika, namentlich die Marokkaner. Das Oberkommando übernahm General de Gaulle, der aus dem Exil in London nach Frankreich zurückgekehrt war. Unterstützt wurde der frz. Truppenaufbau durch die Amerikaner. Die frz. Truppen drängten die deutsche Wehrmacht im Rhônetal zurück und überquerten im Winter 1944/45 die Vogesen. Straßburg wurde nahezu kampflos eingenommen. Im März 1945 ging es bei Kehl über den Rhein. Die deutsche Wehrmacht hatte sich auf die Verteidigung des Westwalls konzentriert. Die frz. Truppen vermieden jedoch eine Auseinandersetzung an dieser Linie. Vielmehr strebten sie auf direktem Weg auf den Schwarzwald nach Freudenstadt, um von dort aus das Gebiet Zug um Zug einzunehmen. So kam es, dass z. B. in Nordrach die Franzosen nicht das Tal hinauf, sondern von den Höhen herabkamen, wie Zeitzeugen an diesem Abend bestätigten. Nach einer Umfrage der Amerikaner wurde ihre Besatzung von der deutschen Bevölkerung relativ freundlich aufgenommen. Die Engländer seien dagegen weniger beliebt und bei den Franzosen gingen die Sympathien gegen Null. Schwendemann wollte dieser sicherlich von den Amerikanern geschönten Betrachtung im Tenor nicht wiedersprechen. Er gab aber zu bedenken, dass zuvor die Deutschen die Engländer bombardiert und Frankreich besetzt und ausgebeutet hatten. Ein gewisses Vergeltungsdenken habe bei diesen Alliierten nahegelegen. Die Franzosen hätten versucht, sich durch die Demontage von Maschinen und flächenhafte Holzeinschläge für die vierjährige deutsche Besatzung zu entschädigen.
Schwendemann sah einen großen Unterschied
zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 und dem Ende des Zweiten
Weltkriegs 1945. Im Ersten Weltkrieg hätte das Militär schließlich die
Aussichtslosigkeit des Kampfes eingesehen und Bereitschaft zu einem
Waffenstillstand
gezeigt.
Dadurch sei das Kriegsgeschehen nicht in das Reichsgebiet getragen worden. Dagegen hätten im Zweiten Weltkrieg Hitler und seine Anhänger die Parole ausgegeben: Sieg oder Untergang. Die Generalität habe sich dieser Selbstzerstörung nicht widersetzt. Einzelne Soldaten, welche der Sinnlosigkeit durch Flucht zu entfliehen suchten, wurden vor ein Standgericht gestellt und erschossen. Gleichzeitig haben sich »Goldfasane«, wie die SS-Führer genannt wurden, in letzter Minute mit ihren Fahrzeugen aus dem Staub gemacht.
Zeitzeugen-Berichte
Der heute in Freiburg lebende, in Nordrach geboren und aufgewachsene Othmar Wolf erzählte, wie er als 12-Jähriger amerikanische Tiefflieger über Nordrach erlebte. Einer der Bombenabwürfe habe einen Altersgenossen tödlich getroffen. Er saß unglücklicherweise im Führerhaus eines ins Schussfeld geratenen Lastwagens. Da die Kampfflieger ohne Vorwarnung kamen, hätte niemand den öffentlichen Luftschutzkeller aufsuchen können.
Wolf berichtete von der Sprengung einer Brücke durch deutsche Soldaten auf dem Rückzug. Als die Marokkaner heranrückten verlangten sie, dass binnen weniger Stunden die Brücke von Nordrachern wieder befahrbar gemacht werden müsse, andernfalls werde der Bürgermeister erschossen. In aller Eile seien Baumstämme und Bretter über den Bach gelegt worden.
Die fremdländischen Soldaten hätten bei den Buben Neugierde geweckt. Angst hätten er und seine Kameraden vor ihnen nicht gehabt. Die Marokkaner hätten sich sogar gerne mit den Buben fotografieren lassen.
Als amerikanische Soldaten nachrückten hätten sie es als Buben genossen im Jeep mitfahren zu dürfen. Nach Einbruch der Dunkelheit hätte er mit einem der Soldaten, die in der ehem. Rothschildklinik einquartiert waren, über den Zaun Schnaps gegen Kaugummi und Schokolade getauscht.
Frühere Berichte
Zwei
Zeitzeugen-Berichte lagen an diesem Abend schriftlich vor. Egbert
Hoferer hatte sie in den Archiven ausgegraben und an eine Stellwand
geheftet. Der eine stammte von Ortspfarrer Nöltner. Er hielt in einem
verlangten Bericht an die Kirchenbehörde in Freiburg fest, dass am 28.
Februar 1945 ein Bombenangriff auf Nordrach-Kolonie erfolgt sei, der
Militärlastwagen gegolten habe. Am 18. April 1945 habe es einen
Fliegerangriff mit Bordwaffen gegeben, bei dem ein Knabe im Alter von
fünf Jahren getötet worden sei.#Am 19. April 1945 sei die Besetzung des
Tales erfolgt, schrieb der Pfarrer weiter. »Gegen Mittag waren alle
Höhen ringsum von französischen Truppen (Marokkanern) genommen. Zu
Gefechten kam es auf der Höhe des Mühlsteines und im Untertal, wobei
acht Soldaten und Volkssturmmänner fielen, die auf dem hiesigen Friedhof
ihr Heldengrab gefunden haben. Eine Brücke wurde im Dorf gesprengt und
dadurch mehrere Häuser erheblich beschädigt. Die Marokkaner nahmen viele
Fahrräder auch Bargeld und Schmuck weg. Vergewaltigungen kamen während
des Durchzuges nicht vor.«
Kirchliche Gebäude seien nicht
beschädigt worden. Der Pfarrer bedauert, dass einige Mädchen, die sich
früher als besonders national gezeigt hätten, sich den
Besatzungssoldaten gegenüber allzu leichtsinnig verhielten. Zufrieden
stellt er fest, dass an dem auf die Besatzung folgenden Fronleichnamstag
„der Besuch des Gottesdienstes und die Teilnahme an der Prozession
mustergültig wie nie in den früheren Jahren“ gewesen sei.
Ludwig
Fehrenbacher hatte bereits 1995 seine Erinnerungen mitgeteilt. Damals
wurde auf der Haldeneck beim Mühlstein ein Denkmal für die sechs
Volkssturmleute und Soldaten eingeweiht, die im Feuergefecht mit den
heranrückenden Franzosen zu Tode gekommen sind. Er hatte als
Fünfzehnjähriger nachts die Schüsse gehört, welche beide Seiten
aufeinander abfeuerten. Am Morgen sah er, wie die Franzosen mit einem
toten Kameraden, den sie auf ein Pferd banden, weiterzogen.
Lehrstück Geschichte
Abschließend dankte Vollmer dem Referenten Dr. Heinrich Schwendemann für seine kenntnisreichen Ausführungen. Durch die Beleuchtung der Hintergründe auf beiden Seiten habe er die Zuhörer nachdenklich gemacht. Dem Wiederaufleben nationalistischer Gedankenlosigkeit, wie sie derzeit da und dort zu beobachten sei, werde ein friedenstiftendes Bewusstsein entgegengesetzt. Wer nicht bereit sei, die dunklen Seiten der Geschichte zur Kenntnis zu nehmen, laufe Gefahr diese wiederholen zu müssen, gab der Vorsitzende zu bedenken.